Der Titel Revanche spricht sehr klar das Thema Ihres neuen Films an, kann man sich auf die klassische Geschichte einer Rache einstellen?
Götz Spielmann: Klassisch vielleicht, aber nicht im Sinn des Genrekinos. Das interessiert mich nicht so sehr, ich arbeite auch eher intuitiv als konzeptionell. Die Geschichte trägt sicherlich einige Spannungselemente in sich, wobei ich das in der Inszenierung eher verschleiern als herausarbeiten möchte. Der Suspense steht für mich nicht im Vordergrund.

Steht also eher das Thema der Schuld im Vordergrund?
Götz Spielmann: Die Schuldfrage war zu Beginn sicherlich das Hauptthema, der erste gedankliche Impetus, der sich aber im Laufe der Zeit verschoben hat. Worum es mir beim Film jetzt in der Tiefe geht, und das klingt wohl nicht ganz zeitgeistkonform - das ist das Geheimnis hinter dem Leben. Dorthin hat sich mein Fokus verschoben - zum Geheimnis hin, zum Rätsel, dass das Leben für mich darstellt. Das Leben, an dessen Schönheit ich glaube. Um es banal zu sagen, glaube ich daran, dass bei allen Schrecknissen, die passieren, bei allen Problemen und Missverständnissen, bei aller Einsamkeit und Konflikten das Leben richtig ist, so wie es ist. Das genauer zu ergründen, das beschäftigt mich jetzt. Wahrscheinlich war dieser Schwerpunkt von Anfang an schon in der Konzeption der Geschichte drinnen, aber eben verborgen, ich beginne es jetzt in der Arbeit zu entdecken.
Es gibt eine oberste Schicht - eine sehr klar und relativ stringent erzählte Rachegeschichte mit einer Schuldgeschichte und einer eindeutigen Hauptfigur, einem „Helden“. Das ist die Oberfläche. In der Tiefe, hoffe ich, dass der Film von einer Art Stille hinter den Dingen erzählt. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, weil ein Erkennen, Wissen oder Erleben gemeint ist, das jenseits von Denken und Sprache überhaupt erst beginnt.

Die Geschichte ist so konstruiert, dass die Frage der Schuld sehr relativ und sehr subjektiv interpretiert werden kann?
Götz Spielmann: Richtig. Insofern ist der Film auch eine klare Fortsetzung von Antares. Es soll klar sein, dass die Figuren nur Ausschnitte der Wirklichkeit wahrnehmen und wahrnehmen können. Es geht darüber hinaus auch um eine Suche nach Identität, darum, dass ein inneres Empfinden mit einer äußeren Realität in Zusammenhang steht - in einer richtigen Spannung oder einer guten Harmonie, dass Innen und Außen nicht in einem grotesken Widerspruch zueinander stehen.

Es treffen zwei Milieus aufeinander - einerseits das Rotlichtmilieu, andererseits die Biederkeit des Lebens auf dem Land. Vom Rotlichtmilieu, in dem auch Ihr letztes Theaterstück Imperium spielt, haben Sie einmal gesagt, dass es in gewisser Weise ein verdichteter Abriss der Gesellschaft ist. Inwiefern?
Götz Spielmann: Aus zwei Gründen: zum einen - schaut man hinter die Kulissen, so geht es nur ums Verdienen, um den kleinen und größeren oder den ganz großen Profit, dem unglaublich viel untergeordnet wird. Das ist es auch, was unsere aktuelle Gesellschaft ausmacht und ist auch eines ihrer fundamentalen Probleme. Zum anderen wird ununterbrochen daran gearbeitet, die Banalität dessen zu verschleiern, es mit verlogener Bedeutung aufzuwerten, die primitive Gier, die der Antrieb ist, die Not, die es schafft, zu verbergen. Da sehe ich in zugespitzter, simpler und deswegen sehr deutlicher Form eine Analogie zu unserem Gesellschaftszustand.

Zwischen Antares und Revanche liegen zwei Theaterregien - eine Schnitzler-Inszenierung und ein eigenes Stück - Imperium. Ist Revanche aus einer Weiterentwicklung von Imperium entstanden?
Götz Spielmann: Nein, diese beiden Projekte sind eigentlich ganz parallel entstanden. Die Idee zu Revanche ist älter als das Theaterstück. Das Stück dreht sich um einen mittelgroßen Bordellbesitzer, der an seinem zu engen und zu äußerlichen Lebenskonzept zugrunde geht. Bei Revanche ist der Bordellbesitzer eine Nebenfigur, die vor allem dazu dient, das Milieu, das ich durch Recherchen mittlerweile ganz gut kenne, zu markieren.

Haben diese letzten Arbeiten am Theater Ihre Arbeit am Kino in ein anderes Licht gerückt und den Zugang geändert?
Götz Spielmann: Nein, das nicht. Die Theaterarbeit bereichert mein Arbeitsleben durch andere Erfahrungen und Erlebnisse, belebt mein Denken durch die genaue Beschäftigung mit großartigen Stücken. Aber meine Kinoarbeit ist davon nicht wirklich beeinflußt. Wobei - alles beeinflußt in Wirklichkeit, also wird es vielleicht doch so sein. Ich weiß aber nicht wie, es fällt mir nicht auf.

Die Arbeit mit den Schauspielern ist bekannterweise ein sehr wesentliches Element Ihrer Regiearbeit. Gegenüber Antares gibt es wieder neue Gesichter, wie kam es zum Cast für Revanche.
Götz Spielmann: Wenn man sich nicht auf den bekannten Trampelpfaden von Prominenz aus Gewohnheit bewegt, dann entdeckt man auch andere, neue großartige Schauspieler. Es ist mir nicht unbedingt ein Anliegen, neue Gesichter zu entdecken, das ergibt sich von selbst, weil ich ohne Vorurteil nach der richtigsten Besetzung suche und im Vorfeld sehr viel anschaue und caste.
Bei Johannes Krisch hatte ich schon länger das Gefühl, dass da ein hohes Potenzial zum Kinoschauspielers schlummert. Es ist seine erste Kino-Hauptrolle. Eine wirkliche Entdeckung für das österreichische Kino, glaube ich. Ich hoffe, das wird auch wahrgenommen werden. Für die Rolle der Tamara haben wir eine junge russische Schauspielerin gesucht, haben gecastet in Moskau, in Kiev, schließlich sogar in Bukarest. Gefunden haben wir Irina Potapenko in Berlin. Sie stammt aus der Ukraine, ist mit acht Jahren nach Berlin gekommen, dort dann aufgewachsen. Sie spielt eine Prostituierte und hat zur Vorbereitung in einem Bordell in Wien einige Nächte mit den Frauen dort verbracht, die Kunden beobachtet, das Milieu kennengelernt. Eine emotional sehr belastende Rolle, der sie sich mit wunderbarem Einsatz hingegeben hat.
Andreas Lust hatte ich für Antares gecastet, wo er mich sehr überzeugt hatte, obwohl ich dann anders besetzt habe. Er spielt einen Polizisten, der ohne Absicht eine junge Frau erschießt und psychische Probleme bekommt. Er hat einige Zeit bei der Polizei in Gföhl verbracht, um sich Figur und Milieu genauer anzueignen.
Ursula Strauss halte ich für eine der aufregendsten Schauspielerinnen ihrer Generation und es war höchste Zeit, dass wir einmal miteinander arbeiten. Ich hatte sie schon beim Schreiben des Drehbuches vor Augen. Ebenso Hannes Thanheiser, der den alten Bauern spielt. Er hatte schon kleine Rollen in Erwin und Julia und in Antares. Auch die Figur des alten Bauern ist für ihn geschrieben.
Aber nicht nur das Casten ist wichtig, auch das Proben. Ich arbeite mit den Schauspielern einige Wochen vor dem Drehen, wo wir die Figuren und Szenen verdichten, vertiefen und „verselbstverständlichen“.

Mit Martin Gschlacht bewährt sich die Zusammenarbeit schon seit längerem?
Götz Spielmann: Bewährt ist zu tief gegriffen, es ist mehr als das. Unser dritter gemeinsamer Film und unsere Zusammenarbeit ist sehr intuitiv, sehr präzise ohne viel Worte und Diskussion geworden. Wir sind auch Freunde geworden in diesen Jahren, was etwas sehr Schönes ist: mit Freunden eine gemeinsame Arbeit zu tun. Wir sprechen im Vorfeld wenig über Auflösung, konkrete Bilder, Technik, etc. und viel über die Geschichte, ihren verborgenen Sinn, über die formale Grundkonzeption des Filmes, über Rhythmus, über Stil. Wir arbeiten mit natürlichem und sehr wenig gesetztem Licht und gehen an die Grenze dessen, was das Material, 35 mm, erlaubt. Trotzdem soll es „schön“ sein, was wir machen, und nicht à la Dogma dokumentarische Authentizität vortäuschen. Sehr wenige Schnitte, lange Einstellungen. Das bedeutet natürlich auch das hohe Risiko, dass es im Schneideraum weitaus weniger Möglichkeiten zu korrigieren gibt. Es muss beim Drehen alles sehr genau gedacht sein. Danach Suchen wir beim Drehen und müssen uns über das Ziel jeder einzelnen Einstellung kaum mehr verständigen, es ist mittlerweile ein selbstverständliches Miteinander. Etwas Besseres kann einem Regisseur nicht passieren.

Es ist der erste Film, den Sie mit Ihrer eigenen Firma produzieren. Was hat Sie zu der Entscheidung bewogen?
Götz Spielmann: Ganz einfach deshalb, weil ich nach all den Filmen, die ich bisher gemacht habe, nicht wirklich einen Produzenten gefunden habe, wo ich mich gut aufgehoben fühle. Ich führe meine Firma gemeinsam mit meiner Frau, Sandra Bohle. Wir produzieren den Film gemeinsam mit der Prisma-Film, und die Konstellation und Zusammenarbeit bewährt sich bis jetzt sehr gut.  Ich habe mit größerer Belastung beim Drehen gerechnet, da ich ja nicht nur als Regisseur, sondern auch als Produzent zu denken und zu tun habe. Aber das Gegenteil ist der Fall. Vieles wird sehr viel einfacher. Ich habe das Gefühl, weitaus besser im Sinne des Filmes und der großartigen Mitarbeiter planen und entscheiden zu können. Wir arbeiten hart, alle miteinander, haben aber auch Freude an dieser gemeinsamen Arbeit. Jedenfalls hoffe ich, dass die meisten es so erleben. Wir haben uns als Produzenten jedenfalls sehr darum bemüht, diese Atmosphäre möglich zu machen.

Welche Rolle spielt der Faktor Zeit in dieser Erzählung?
Götz Spielmann: Die schönsten Filme sind für mich die, wo sich die Zeit am Ende in einen Raum verwandelt hat, einen Erlebnis-, einen Erfahrungsraum. Wie ein Fluss, dem man beim Fließen zusieht und am Ende hat sich alles Wasser in einem See gesammelt. Einerseits hat das filmische Erzählen wie jede dramatische Kunst seine Gebundenheit an die Zeit. Aber die wesentlichen Erlebnisse im Leben sind dort, wo die Zeit aussetzt, wo sie keine Rolle mehr spielt. Deshalb betrachte ich meine Arbeit immer als Agieren auf diesen zwei Ebenen. Die Geschichte, die man erzählt, ist ein Mittel dazu, aber weder Zweck noch Ziel.
Alles braucht eine Oberfläche, eine vordergründige Ebene des Films, die stimmen muss und die Spannung braucht, aber letztlich geht es nicht darum. Manchmal kann es deshalb richtig sein, Spannung nicht auszuspielen, wenn es zu sehr mit etwas in der Tiefe oder mit etwas, das hinter der Geschichte wichtig ist, interferieren würde. Das ist sozusagen das Doppelspiel beim Filmemachen. Revanche ist eine präzis geschriebene Geschichte, aber die Konzentration beim Machen besteht nicht darin, aus der Geschichte ein Optimum an Spannung oder Atemlosigkeit herauszuholen. Revanche möglichst spannend zu erzählen, wäre eine leichte Übung. Es geht mir aber um eine formale und ästhetische Langsamkeit. Das ist für mich das Spannende und das Riskante an dem Film. Was mich sehr interessiert, ist eine Thrillergeschichte in einem völlig gegenläufigen Tempo zu erzählen. Ich will nicht, dass man mit den Mechanismen und auch den Manipulationsmethoden des Kinos neunzig Minuten lang die Zeit vergisst. Ich will dass man sich der Zeit bewusst wird. Dann erst kann man sie wirklich überwinden.


Interview: Karin Schiefer
© 09_2007 Austrian Film Commission