Montag, 20. 8. 07

Erster Tag im Bordell

Der erste Drehtag. Die Madame Bar ist ein aufgelassenes Bordell in der Nähe des Praters. Rote Samttapeten im Parterre. Im Keller die Zimmer. Himmelbett, Landhausstil, S-M Raum mit schwarzem Lederbett, darauf eine vergessene Peitsche.  Es riecht nach Moder. Die Wandmalereien mit den halbnackten Engeln und Teufeln sollten wohl animierend wirken, jetzt wirken sie unheimlich, zumal an manchen Stellen der Putz herunterbröckelt. Unter der Acrylschicht sind die Wände feucht. Die Madame Bar wird in „Revanche“ Cinderella heißen und ist eines der wichtigsten Motive des Films. Die ukrainische Prostituierte Tamara arbeitet dort, hier lernt sie Alex kennen, den Helfer des Bordellbesitzers.
Auf der schmalen Seitenstraße vor der Madame Bar parken die LKWs und Busse von Licht, Catering und Kamera. Eine Kaffeemaschine ist aufgebaut.  Davor die Statistinnen, geschminkt und kostümiert. Sie kommen aus Rumänien und Ungarn und arbeiten in Wien als Gogo Girls. Sie werden die Prostituierten spielen. Der Drehtag beginnt mit einem kleinen Casting. Götz Spielmann probt eine Szene, in der Bordellbesitzer Konecny, gespielt von Hanno Pöschl, eine Nutte zusammenstaucht, die unzuverlässig arbeitet. Zwei Darstellerinnen stehen zur Auswahl. Götz Spielmann entscheidet sich für die Ungarin. Die erste Klappe. Kameramann Martin Gschlacht dreht die Szene in einer ganzen Einstellung. Gestaltungskonzept des Films. Spielmann wiederholt sie 18-mal, bis er endlich zufrieden ist. „So viel Takes hatte ich noch nie”, sagt er nachher. Trotzdem gibt er sich gelassen: „Ich nehme die Dinge so wie sie sind."

Freitag, 24. 8. 07

Gürtel bei Nacht

Autofahrten auf dem Gürtel bis in die frühen Morgenstunden. Nieselregen. Es ist erst unklar, ob man drehen kann. Doch dann starten wir doch. Das Auto, in dem Johannes Krisch und Irina Potapenko fahren, ist an ein Zugfahrzeug, den Trailer, angehängt. Requisiteur Hansi Wagner springt bei jeder Gelegenheit vom Trailer, um die Regentropfen von der Scheibe zu wischen. Oberbeleuchter Gerald Kerkletz simuliert das Licht von Straßenlaternen, indem er einen Scheinwerfer durch die Luft schwenkt, die Windschutzscheibe des Autos entlang. Die Kamera ist außen auf dem, Spielauto montiert. Johannes Krisch hat seine Hände ganz entspannt auf dem Lenkrad, das alle Bewegungen des Zugfahrzeugs nachmacht. Im Kino wird das alles dann sehr realistisch aussehen. Wie eine ganz normale Autofahrt auf dem Gürtel.

Montag, 27. 8. 07

Zuviel Sonne

Großweikersdorf, Weinviertel, ein sonniger Tag, schön sonnig, gefährlich sonnig. Volksbank von außen geht sich noch aus. Doch dann muss es schattig sein. Enervierendes Warten. Fast keine Wolken in Sicht. Götz verweigert das Essen. Der Waffenmeister hat einen kleinen Sohn. Der mag Waffen auch. Die Dorfkinder finden es gut, haben sich hinter dem Pfarrhof versteckt und schauen zu. Andreas Lust schießt mit Platzpatronen und brüllt Krischs Auto „Du Sau“ hinterher. Eine Familie hat sich aufs Hausdach gestellt. Sie sehen aus als würden sie gleich runterspringen.

Dienstag, 28. 8. 07

Autodiebstahl mit Lineal

Götz Spielmann und Regieassistentin Kathrin Biró dirigieren die Komparsen auf dem ÖBB-Parkplatz am Praterstern. Die Menschen sind eigentlich nur ihrer Fahrzeuge wegen gekommen. Götz und Kathi gruppieren die Autos auf dem abgesperrten Platz rund um einen silbernen BMW. Innenrequisiteur Hansi Wagner tauscht noch zu auffällige Nummernschilder aus. Dann können die Aufnahmen beginnen. Mit einem metallenen Gegenstand, der aussieht wie ein langes Lineal öffnet Johannes Krisch den alten BMW. Eigentlich öffnet er ihn gar nicht, sondern Hansi Wagner, der unter dem Auto liegt und eine Fernsteuerung für die Tür hat. Die drückt er, wenn Krisch eine kreisende Beckenbewegung macht. Tobias Dörr findet, dass der Hüftschwung im Ansatz aussieht wie eine Kinski-Schraube. Das Lineal ist ein typisches Werkzeug von Autodieben – zumindest haben das die Recherchen ergeben.
An der Ausfahrt des Parkplatzes kommen die Komparsen dann doch dran. Sie müssen sich beim U-Bahn Eingang in Gruppen aufstellen, um Schaulustige abzuhalten, die in der weiten Totale auf der Kinoleinwand erkennbar wären. „Wir drehen fürs Gartenbaukino“, sagt Götz.

29. 8. 07

Hotel Terminus

Einfache Einstellungen stehen auf dem Programm. Sie zeigen Johannes Krisch als Alex bei seiner Arbeit im Hotel von Konecny. Ein bedeckter Tag mit Nieselregen. Die schmale Fillgradergasse vor dem Hotel Terminus scheint fast zu eng für die großen Catering- und Lichtfahrzeuge zu sein.
Der Hinterhof mit abbröckelnden Wänden und Bergen von Taubendreck sieht aus wie in Berlin. Der Keller ist voll von süßlicher Wärme. Johannes Krisch muss einen Stapel Bierkisten von einem Zimmer in das andere befördern. Eine sehr kurze Einstellung – bis Götz Spielmann das schnarrende Geräusch der Kisten auf dem alten Steinboden hört. Er wird diese Einstellung länger leer stehen lassen bis Krisch ins Bild kommt. „Das Geräusch ist bedrohlich und konkret, damit unterstützt  die Atmosphäre der Szene unterstützt, erklärt aber nichts“, sagt er. Die reale Akustik der Räume des Films, der komplett On-location gedreht wird, ist für Spielmann von besonderer Bedeutung. Immer versucht er Konkretes in seine Vorstellung der Szenen zu integrieren. Genau zu hören ist für ihn als Regisseur ebenso wichtig wie genau zu sehen.

Donnerstag, 6. 9. 07

Champagner im schäbigen Hotel

Das Motiv heißt „schäbiges Hotel“ und ist ein Gasthof in Vösendorf, am Stadtrand von Wien. Strukturtapeten an der Wand, das Haus niedrig, aus dem 19. Jahrhundert, neben dem schmalen Trottoir eine Lärmschutzwand aus Plastik zur Triesterstraße hin.
Unweit von hier, zwischen Gewerbebetrieben, Büros und biedermeierlichen Häusern, der Caesar’s Club, ein Bordell, in dem Götz Spielmann  lange für den Film und das Drehbuch recherchiert hat. Und Irina Potapenko hat dort reale Nutten kennen gelernt und als Prostituierte verkleidet an Schichten teilgenommen. Heute ist ein anspruchsvoller Drehtag für Götz Spielmann und die Schauspieler. Im schäbigen Hotel spielen die Momente vor dem Überfall und die Szene, in der Alex zurückkehrt und seine Koffer und die der toten Tamara abholt. Dabei bricht Alex in Tränen aus. Götz Spielmann wiederholt diese Einstellung drei Mal, schiebt dann Großaufnahmen eines Fotos von Tamara dazwischen und lässt Johannes Krisch die Einstellung noch zweimal spielen. Dann ist er zufrieden. Nach Drehschluss sagt er, dass Filme für ihn  mit dem Glauben an das Leben zusammenhängen und er sich deshalb mit Szenen, in denen der Schmerz dominiert, schwer tut. Denn auch in solchen Szenen darf für ihn der Glaube an das Positive nicht verloren gehen. Das Team trinkt dazu Champagner, der heute in rauen Mengen vorhanden ist und weg muss. Denn sechsmal wurde die Einstellung wiederholt, in der Johannes Krisch die Champagnerflasche öffnet, die er bei seinem letzten Botengang für Bordellbesitzer Konecny hat mitgehen lassen.

Freitag, 7. 9.07

Echte und falsche Polizisten


Deutsch-Wagram. Ein gesichtsloser Vorort im Norden von Wien. Die Polizeistation. Ein niedriger Betonbau aus den 70er Jahren. Hierher wurde Natascha Kampusch nach ihrer Flucht verbracht. Nur ein Zufall, dass „Revanche“ auch hier gedreht wird. Das Motiv lag verkehrsgünstig und entsprach den visuellen Ansprüchen von Kamera und Regie. Starke Regenfälle, die nicht mehr aufhören wollen. Unter dem Vordach sammeln sich echte und falsche Polizisten sowie echte Polizisten, die nicht hierher gehören. Sie sind aus Gföhl. Ein Kameradschaftsraum im Keller. Eine der wichtigsten Szenen von „Revanche“ spielt hier. Die Geburt  eines Kindes wird gefeiert. Robert kommt dazu und hat im Umkleideraum eine Panikattacke. Die ganze Szene eine einzige Steadicamfahrt, bei der Riccardo Brunner seine Kamera in alle Richtungen bewegt. Deshalb verschanzen sich Martin Gschlacht und Götz Spielmann  mit der Videoausspiegelung in einem Nebenraum. Götz Spielmann ist begeistert. Die Szene wirkt maximal realistisch, das Zusammenspiel der echten und falschen Uniformträger ist perfekt. Für die Szene gab es keinen Text und keine Vorproben. Götz Spielmann hat sie am Morgen zusammen mit seinen Darstellern improvisierend entwickelt. Nachmittags Aufnahmen auf dem Schießplatz der Polizei in Süßenbrunn, 22. Bezirk. Andreas Lust schießt mit Platzpatronen. Die Beamten aus Gföhl haben scharfe Munition ausgefasst. Auch der Schießtrainer ist ein echter Polizist. Der Regen hat immer noch nicht aufgehört.

Montag, 10. 9.07

Plank ist anders

Ankunft in Plank am Kamp. Waldviertel. Ein winziger Ort zwischen Langenlois („Die Winzerin von Langenlois“ wurde hier in den 50ern gedreht) und Gars am Kamp. In Gars hat einmal ein Polizist einen Unbeteiligten erschossen als er ein flüchtendes Fahrzeug stoppen wollte. Götz Spielmann hat diese Geschichte zur Figur des Filmpolizisten Robert inspiriert.
Plank ist ruhig, sehr ruhig, heimatfilmmäßig ruhig, 50er Jahre-ruhig, ekelhaft ruhig. Es gibt hier einen hochwassergefährdeten Fluss, ein Gourmet-Gasthaus und eine Trafik ohne Zigarettenautomat, die von 6 bis 13 und von 16 bis 19 Uhr geöffnet hat. Die Menschen in Plank sind anders.
Das Team ist einer alten Mühle untergebracht. Shining hätte man hier auch drehen können. Ferienwohnungen. Unheimlich. Klimt-Kunstdrucke neben Blümchenvorhängen. Die Katze heißt Wuschel, ihr Vater war ein Wildkater. Deshalb hat Wuschel einen buschigen Schwanz. Wuschel ist ein Outlaw, djangomäßig, faucht andere Katzen an, schleckt an meiner Colaflasche. Wuschel sabbert. Sie spielt gern an sich herum. Aber machen wir das nicht alle. Götz wird hier mit Uschi Strauss, Johannes Krisch und Andreas Lust proben – in Ruhe und Abgeschiedenheit. Abends: Euroshopper in sieben Programmen. Wuschel spielt wieder an sich herum. Andreas Lust klopft ans Fenster. Er grinst zu mir runter. Ich wohne im Souterrain.

Dienstag, 11. 9. 07

Playboy-Witze und falsche Bärte

Proben: Uschi Strauss und Johannes Krisch. Götz über Alex: „In der Depression fühlt man sich außerhalb der Welt und nimmt alles wahr.“ „Isolation ist die Situation, nicht das was man spielen muss. Das zu spielen, würde die Aufmerksamkeit aufs Außen verringern.“
Zu Gesprächen: „Ein Dialog besteht oft aus permanenten Missverständnissen, dann ist jeder auf seiner Schiene, geht fast gar nicht auf den anderen ein, benutzt das, was der andere sagt nur, um sein Ziel zu verfolgen.“ Götz findet, dass Gespräche so sind wie Stolpern ohne zu fallen. Krisch will sich seinen Errol Flynn-Bart nicht abrasieren  lassen. Er will keine Emotionen spielen müssen und auf den Anklebebart aufpassen. Dass der nicht runterfällt. Krisch kann Playboy-Witze vorlesen  wie kein anderer. Die Witze sind aus einem Buch in der Ferienwohnungshausbibliothek im großen Saal neben der Bühne, bei den verwitterten Fitnessgeräten. Abgegriffenes Cover. Ein Playmate vorne drauf. Die Witze sind nicht lustig. Aber Krisch, wenn er sie vorliest.

Mittwoch, 12. 9. 07

Das Spielmann-System

Hannes Thanheiser, der den alten Bauern spielen wird, ist vorbeigekommen. Er sitzt mit Götz auf der Bank und zeigt ihm zwei Ziehharmonikas. Die eine, die kleine, hat einen besseren, einen saubereren Klang. Die große ist eine richtige Bauernziehharmonika, sagt er. Er hat sie vor kurzem einem Bauern abgekauft, der nicht mehr damit spielen wollte. „Die große ist schöner, aber sie schnarcht“, sagt er. Hannes Thanheiser hat lange weiße Haare und ein Baseballkäppi.
Proben: Uschi Strauss und Andreas Lust, sieben Sekunden Pause vor den Sätzen, Stimme tiefer: Spielmann-System. Text entweder unwichtig, improvisieren, oder ganz genau Text sprechen. Unzählige Gedanken, in den Worten steckt nichts. Sie sind nur Worte. „Gut so, aber lauter sprechen.“ „ Es muss leicht zu spielen sein, sonst ist es falsch.“ Zum Schreiben: „Intuitiv sein, planen ist immer falsch.“ Zum Leben: „Es gibt kein Ego und keinen Tod.“ Zum Genießen: „Wein ist besser als Bier.“

Donnerstag, 13. 9. 2007

Pistolenatrappen im See

Der Himmelsteich ist groß, fast zu groß für einen Teich. Ein kleiner See, mitten im Wald. Ein mystischer Ort. Als Schauplatz so alt wie der erste Drehbuchentwurf. Der Teich soll die erste Einstellung des Films sein. Darauf die Titel. Auf einer ruhigen Wasseroberfläche, in der sich Himmel und Bäume spiegeln.
Es ist der einzige Drehtag der Probenwoche. Wir kommen etwas zu spät. Verzögerungen in der Früh. Die erste Klappe um 10.45 Uhr. Kathi Biró sagt, dass es am Morgen generell windstiller ist und dass es mit dem geplanten Bild vom ruhigen Teich schwierig wird. Produktionsleiterin Stephanie Wagner sammelt Unmengen an Steinpilzen. Der feuchte Boden scheint perfekt für sie zu sein. Und die Feuchtigkeit steigt einem in die Knochen. Stehen, Sitzen, Warten.
Mittagspause in einem Landgasthaus. Götz ist von der Fritattensuppe begeistert. Frisch gekocht, mit Rinderstücken drin. Er erzählt, wie er das Waldviertel als Drehort entdeckt hat, in Wanderungen durch die geheimnisvolle, menschenleere Landschaft. Und wie er über diese Landschaft auf die Motive des Drehbuchs gekommen ist.
Nachmittags wieder der Teich. Unruhig. Immer wieder kommen sanfte Wellen, störende Wellen. Dann drehen wir. Am Ende der langen, fixen Einstellung fliegt ein Gegenstand, eine Pistole, Alex’ Pistole ins Wasser. Ein ganzer Karton mit Pistolenattrappen ist dafür da. Der Wurf misslingt. Nicht perfekt im goldenen Schnitt. Wieder Warten. Dazwischen kurze Szenen mit dem joggenden Robert und Alex. Wieder Warten, neue Versuche, der Teich ist zu bewegt, der Abend kommt, Abendsonne. Jetzt ist der Teich ruhig, endlich. Doch Götz bricht den Dreh ab. Das Bild soll dunkel sein, düster, bedrohlich, im warmen Abendlicht ist es ihm zu romantisch.

 

Samstag, 15. 9. 07

Like a rolling stone ...

Orange Hirsche und Rehe sind mit Schablonen auf die Wand aufgemalt, darunter hat sich der Putz von den feuchten Mauern gelöst. Das windschiefe Anwesen Eisenbergeramt 2 sieht aus wie eine Kröte, die sich in die Landschaft duckt.  Der Hof steht leer seit seine letzte Bewohnerin gestorben ist. Hier wird Alex’ Großvater für zwei Filmwochen einziehen. Die ersten Proben. Mit Hannes Thanheiser, dem Darsteller des alten Bauern. Er will seinen Hut an der Küchentür aufhängen. Doch es ist kein Nagel da. „Da muss ein Nagel her zum Aufhängen vom Gwand, das ist in allen Bauernhäusern so“, sagt er. Thanheiser kennt sich aus. Er wohnt seit vielen Jahrzehnten auf dem Land. Und wenn man ihn in der ärmlichen Stube sieht, die niedrige Decke schwarz vor Ruß, ein Sofa, eine Eckbank, ein Tisch, Herrgottswinkel, kitschige Heiligenbilder mit übermalt wurmstichigem Rahmen, scheint er dort einfach hinzugehören.
Textproben mit Uschi Strauss und Johannes Krisch. Klare Choreographie. Pausen werden festgesetzt. Blicke und Pausen, für Götz die wichtigsten Elemente einer Inszenierung. Lange Pausen, sehr lange Pausen. Die geben einen Großteil der schauspielerischen Haltung wieder. Der Bauer darf nicht freundlich sein zu seinem verlorenen Enkel, das ist wichtig, sondern mürrisch, menschenfeindlich und verletzt. „Schau ihn nicht an, wenn du mit ihm redest“, sagt Götz. Dann Proben draußen. Ein schmaler, fast zu schmaler Weg, Maschendrahtzaun mit verblichenem 50er Jahre-Gelb. Die erste Begegnung von Großvater und Enkel seit dieser im Gefängnis war. Thanheiser will Johannes Krisch das windschiefe Gartentürl vor der Nase zumachen. Götz interveniert. „Schau ihn einfach nicht an, wenn ihr hintereinander hergeht, das reicht“ „Wir müssen uns da noch was einfallen lassen, da könnte man viel spielen“, sagt Thanheiser. „Es war schon sehr viel“, sagt Götz.
Rückfahrt. Götz ist erkältet. Er fährt mit überhöhter Geschwindigkeit, legt den Volvo in die Serpentinen als wäre die Fahrt durch die menschenleere Gegend ein Videospiel. Bob Dylan läuft – so wie immer, wenn ich bei Götz in seinem Wiener Schreibzimmer vorbeikomme „Like a rolling stone…“ Der zweite Drehabschnitt im Waldviertel wird am Montag beginnen.

Montag, 17.9.2007

Heckscheibe, schwer zu zerstören

Ein kurzes Wochenende.
Waldlichtung bei Gföhl. 8.30 Uhr. Der BMW, Alex’ Fluchtfahrzeug nach dem Banküberfall, steht in einer tiefen Senke. Requisiteur Hansi Wagner macht sich mit einem Hammer an der Heckscheibe des Autos zu schaffen, will sie einschlagen. Erster Versuch: die Scheibe bleibt ganz, ein zweiter Versuch, ein dritter Versuch. Erst als Hansi Wagner mit einem Stück Karton nachdrückt, bröselt die Scheibe langsam in sich zusammen. Tonmeister Heinz Ebner nimmt das Geräusch auf. Es wird als Nurton verwendet. Nach dem tödlichen Schuss auf das Auto. Weite Totale: Alex flieht, lässt die tote Tamara und das Auto im Wald zurück. Lukas Beck kommt vorbei, mit Rollköfferchen, macht die Polizeifotos für die Szene im Kriminalamt. Die Scheibe, die Tote, Nummerntäfelchen daneben. Solche Fotos zu machen, davon habe er schon immer geträumt, sagt Lukas Beck. Er ist ein Starfotograf.
Nachmittag: Ein Pfad an einer Lichtung, daneben ein Bach. Andreas Lust joggt, Johannes Krisch zieht die Pistole. Steadicam. Mehrere Wiederholungen. Andreas Lust ist am Ende ziemlich geschafft. Er hat sich am Himmelsteich eine Erkältung geholt.

 

Dienstag, 18.9.2007

Vertrauen auf den Kosmos

Wieder der Teich. Jetzt gelingt alles. Noch bevor das ganze Team angekommen ist, hat Götz die Titeleinstellung gedreht. Die Pistole hat er selbst geworfen, einmal und gleich im goldenen Schnitt, sagt er stolz. Gerade rechtzeitig. Kurz nachher machen die sanften Wellen die Wasseroberfläche wieder unruhig. Die große Konfrontation von Alex und Robert. Verzicht auf die Rache. Eine Einstellung. Plansequenz, Fahrt. Der Dolly auf dem Waldboden. Die Schienen gefährlich nahe am Wasser, Bierdeckel darunter und Holzkisten. Wenige Wiederholungen. Die erste Szene vom Ende des Films ist im Kasten. Die Hälfte der Drehzeit fast vorbei. Erstmals denkt man daran, dass die Drehzeit auch ein Ende haben wird.
Dann das Folgebild. Alex wirft die Pistole ins Wasser. Beim letzten Take setzt eine sanfte Bö den ganzen Teich in Bewegung,  schnelle, dünne Linien. Eigenartig unwirklich. Genau in dem Moment als Johannes Krisch die Pistole wirft, erreichen sie das Bild. Götz ist begeistert. „Magisch“, sagt er. In solchen Augenblicken spricht er immer vom Kosmos, dem man vertrauen muss. Viel von seiner Gelassenheit beim Inszenieren mag damit zusammenhängen, dass er beim Drehen darauf vertraut, dass sich die Dinge von selbst zu Gunsten des Filmes entwickeln. Dann Regenschauer. Die Beleuchter Gregor Centner und Stephan Ludescher spannen einen Schirm. Darunter die Kamera, Götz, Martin Gschlacht, die Kameraassistenten. Wieder filmt Götz die Wasseroberfläche, unter den dicken Tropfen abstrakt, fast nicht mehr zu erkennen. „Vielleicht das richtige Bild für den Abspann“, sagt er. Und zu Martin Gschlacht: „Wir müssten eigentlich eine Universumfolge über das Waldviertel drehen“. „Da musst du dir aber einen anderen Kameramann suchen“, sagt Gschlacht und zündet sich eine Zigarette an.

 

Dienstag, 25. 9. 07

Hof unter Wasser

Ein ORF-Team ist gekommen, um vom „Revanche“-Dreh zu berichten. Sie filmen Götz beim Inszenieren, filmen den Skriptblock, interviewen die Schauspieler.
Johannes Krisch sägt und hackt im Stadl, schwitzend. Die Kreissäge ist alt und laut. Die Beleuchter haben im Hof eine Illustrierte aus den 70er Jahren  entdeckt und blättern sie durch. Auf dem Cover der damalige Freund von Caroline von Monaco. Ein spanischer Tennisspieler. Nackter Oberkörper. Komplett behaart. Stolzes Grinsen. Achtlos liegengelassen auf dem alten Traktor.  Der Hof, der Stall, der Stadl: Voll von Resten aus einem unbekannten Leben. Das, was übrig bleibt eben: Alte Münzen in einer Kommode,  Heiligenbildchen, ein Packen Hefte (Wochend 1978: „Fred T. hatte eine venerische Halsentzündung. Ahnungslos steckte er seinen Freundeskreis mit Syphilis an.“ „Hormonspritzen für Männer: der neue Weg, eine Schwangerschaft zu verhüten“).
Mittagspause.
Hannes Thanheiser sitzt auf der Bank spielt Ziehharmonika. Er ist mit dem Klang des Instruments nicht zufrieden. Doch Götz wollte die schnarchende Harmonika. „Das Stück hat immer dieselbe Struktur“, sagt er. „Es geht im Kreis.“ Perfekt für den Schnitt. Der Bauer spielt wieder, hat dann einen Schwächeanfall, während Krisch Holz hackt. Eine Einstellung, ein Schwenk. Zwei Takes. Dann ist der Himmel schwarz. In Sekundenschnelle zieht ein Gewitter herauf. Strömender Regen. Nino Volpe und Anna Manhardt, die Kameraassistenten, retten die Moviecam in den Stadl. Die Requisiteure Michael Buchart und Christoph Königsmayr bauen einen Damm, damit das Wasser nicht in das Sägemehl und unter den Holzstapel läuft. Garderobiere Roni Albert bringt Regencapes. Götz bekommt einen Poncho. Olivgrün. Die ORF-Leute flüchten ins noch trockene Haus, wollen dort Johannes Krisch interviewen.
Götz lässt die Kamera unter einem Apfelbaum aufbauen. Spontane Entscheidung. Er will das Schlussbild, in dem Alex die Äpfel aufsammelt, im Regen drehen. Doch dann schreit Christoph Königsmayr  „Haus  unter“. Das Wasser ist in den Bauernhof eingebrochen, rinnt als dicke, braune Brühe über den Gang und bei der Hoftüre wieder heraus. Mit Heuballen wird es aufgehalten, mit Schaufeln ins Freie befördert.
Götz geht unterdessen wie ein Feldherr im Stadl auf und ab, in Gedanken versunken. Die Einstellung im Regen kann nicht gedreht werden. Das Licht stimmt nicht. Schneller Umbau auf Holzhacken Alex.
Der Regen hört auf.
Wieder Thanheiser. Auf der Bank. Der große Mann sieht jetzt sehr alt aus und sehr schwach. Er spielt. Dann der Schwächeanfall. Johannes Krisch führt ihn ins Haus. Drehschluss.

Samstag, 29. 9. 07

Warten auf Wolken und Schatten

Einfamilienhaus erster Drehtag. Neubau, blau gestrichen unweit von Gföhl. Neben der Klingel ein Schild. Holzbrandgraphik: Hier lieben, leben und streiten Familie…“ Innen: Bioklos. An der Tür ein Zettel: „Bitte nichts ins Klo werfen, da sonst die Biokläranlage kaputt geht.“ Wegen des Parkettbodens darf das Haus nur mit Überschuhen betreten werden. Absolutes Rauchverbot. Es wird für Götz schwer werden. Einsamkeitsbild. Leeres Kinderzimmer, frisch eingerichtet. Ein Staubsauger läuft, Schwenk auf Uschi Strauss, die nachdenklich auf dem Kinderbett sitzt. Dort wird später die zweite Sexszene mit Johannes Krisch gedreht.
Grillfest auf der großen Wiese, die scheinbar bis zum Horizont reicht. Eine weite Totale, vier Leute, es ist schwierig den Ton zu angeln. Warten auf Wolken, auf Schatten. An diesem Tag vergeblich. Tonmeister Heinz Ebner tarnt den Schatten der Tonangel, indem er Zweige daran bindet. Oberbeleuchter Werner Stibitz stellt einen Schirm auf und ein Bäumchen – Beides auf über zwei Meter hohen Stativen. Schirm und Bäumchen liefern zusätzlichen Schatten, damit sich Tonassistent Oskar Kravina etwas freier bewegen kann.

Dientstag, 2. 10. 07

Bluthochdruck und Pilzomelette

Der letzte Drehtag auf dem Bauernhof. Mit Hannes Thanheiser und Johannes Krisch.
Erst eine kleine Szene, in der sich der Bauer am Waschbecken in der Küche wäscht, seinen Enkel mürrisch verabschiedet und dann mit seiner toten Frau spricht, Der erste Take:
Götz: „Die war recht schön.“
Thanheiser: „Kann viel besser werden. Ich werd mir dann aber nicht das Gesicht waschen.“
Götz: „Sieht aber gut aus!“
Thanheiser: „Dann mach mas so. Ums gut Aussehen geht’s.“
Zweiter Take:
Götz: „Beste bis jetzt. Wie fandst du die, Hannes?“
Thanheiser: „Ja, geht scho.“
Am Ende werden es sieben Takes. Götz ist zufrieden, will noch eine kurze Einstellung für den Kinotrailer drehen.
Die Ärztin, die zwei Mal am Tag mit ihrer kleinen Tochter kommt, um Hannes Thanheisers Blutdruck zu messen und immer länger bleibt als sie müsste, macht eine kurze Kontrolle. Routine. Doch dann heißt es, dass Thanheisers Blutdruck zu hoch ist. Er müsse erst etwas essen, sich ausruhen. Set-Aufnahmeleiter Niki Brechelmacher sagt eine Pause von mindestens 30 Minuten an. Catering-Koch Peter Rigam bringt ein Omelette aus Pilzen, die er im Wald gesammelt hat, in Thanheisers Wohnwagen. Thanheisers Frau sieht den Teller sehr skeptisch an. Götz raucht eine Zigarette, spricht über Thanheiser. Er kennt ihn schon lang, hat ihm die Rolle auf den Leib geschrieben „Ohne ihn hätte ich diesen Film nicht machen können“, sagt er.
Der Blutdruck stimmt wieder. Hannes Thanheiser und Johannes Krisch spielen die Szene, in der der Großvater seinen Enkel dazu bringen will, für ihn die Äpfel zu ernten. „Taxier ihn, dann sprich über die Äpfel, gespielt  beiläufig, schau ihn dabei nicht an, und dann taxier ihn nachher wieder“, sagt Götz zu Thanheiser und zu Krisch: „Du musst das noch weicher spielen.“ „Weichspüler!“, murmelt Hannes Thanheiser und amüsiert sich darüber.
Dann will er wissen, warum alle Szenen, in denen er mit Krisch beim Essen sitzt, so extrem ähnliche Abläufe haben. Götz überlegt kurz und sagt dann: „Das Leben der Figur läuft immer im selben Rhythmus, darin liegt die Schönheit.“
Nachts noch Außenszenen, dann ist das Motiv abgedreht. Ein ruhiger, ein wehmütiger Abschied. Auch das Team hat in diesen Tagen einen anderen Rhythmus gefunden.

Montag, 8. 10. 07

Da lacht die Gurke

Szenen in einem kleinen Supermarkt auf dem Land, bei laufendem Betrieb. Riccardo Brunners Steadicam ist neben dem Gefriergemüse aufgebaut. Wie immer pendelt er das Gerät liebevoll mit zwei Fingern ein und montiert es scheinbar mühelos mit einem sanften Ruck auf den Auslegehaken seines korsettartigen Geschirrs,  auf dem er vorher seinen Arm abgelegt hat. Um Product Placement zu verhindern hat Sebastian Thanheiser Gurkengläser mit der Fantasiemarke „Da lacht die Gurke“ entworfen. Hansi Wagner amüsiert sich darüber. „Die lacht sicher, weil sie sauer ist, dass es denen, die reinbeißen, alles zusammenzieht.“
Das erste Bild muss wiederholt werden, mit 25 Bildern pro Sekunde. Eine Neonröhre könnte flackern. Wegen des unterschiedlichen Takts mit der Kamera. Hannes Thanheiser schiebt den Einkaufswagen. Zur Mittagspause ist er fertig. Sein letzter Drehtag. Abschied mit Sekt. Das Team von ORF Niederösterreich, das über die Dreharbeiten berichtet, freut sich darüber. Minutenlange Standing Ovations für Thanheiser. „Ich bin sehr gerührt“, sagt er in seiner ironischen Art.
Dann das unmoralische Angebot im Supermarkt. „Ich bin heut Nacht allein“, flüstert Filialleiterin Uschi Strauss Johannes Krisch zu. Früher Drehschluss.
Am Abend Schnapsklappe von Schauspielern und Ausstattung. Alt-Österreichisch: Mit Wein, Bier, Speck und Schrammelmusik aus einem Ghettoblaster. Riccardo Brunner hat von zu Hause Rotwein mitgebracht. Aus dem Tessin. Spätnachts sitzen noch einige in dem romantischen Innenhof. Ruhige Stimmung, nachdenklich, fast schon etwas gedämpft. „Kein Wunder“, sagt Martin Gschlacht. „Alle wissen, dass wir jetzt bald auseinander gehen.“ Ich habe bis dahin noch gar nicht wirklich an das Ende der Dreharbeiten gedacht. „Am letzten Drehtag trinken wir noch ein Bier und werden alle in der Nacht packen und fahren“, sagt Martin. „In Plank bleibt da keiner mehr.“

Freitag, 12. 10. 07

Abschied

Der letzte Drehtag. Alle geplanten Bilder schon abgedreht. Nur mehr ein kleiner Nachschlag steht an. Einfamilienhaus. Wiederholung einer Einstellung. Uschi Strauss saugt die Scherben des Weinglases auf, das bei der Sexszene mit Johannes Krisch zerbrochen ist. Nach dem dritten Take sagt Götz „Kopieren“. Er ist sehr ruhig heute, ruhig und etwas melancholisch. Dann Rückkehr zum Bauernhof. Eine Szene außer Plan steht auf dem Programm. Beim Rohschnitt ist Götz aufgefallen, dass er noch ein Bild braucht, in dem Alex alleine und verzweifelt in seiner Kammer zu sehen ist. Die Lkws und Autos fahren wieder den schmalen Weg zu dem eigenartig gedrungenen Haus hinunter. Dort, an dem intensivsten und schönsten Schauplatz des Films werden die Dreharbeiten enden. Alle freuen sich darüber. Während innen die Kamera eingerichtet und geprobt wird, bricht draußen ausgelassene Ferienstimmung aus. Fußballspielen auf dem Acker. Uschi Strauss ist geblieben, obwohl sie abgedreht ist. 
Dann die letzte Einstellung. Johannes Krisch muss in Tränen ausbrechen, alleine in seiner Kammer, an der Wand Tamaras Foto. Und er weint. Als die Einstellung fertig ist, setzt sich Krisch an den Tisch und weint weiter. Völlige Erschöpfung, der Film ist abgedreht, der Weg, der im Februar in Rita Waszilovics’ Castingstudio begonnen hat, zu Ende. Und Johannes Krisch hat seine erst Kinohauptrolle gespielt. Götz lässt die Kamera noch einmal auf Krisch richten, die letzten Meter laufen durch die Moviecam. „Drehschluss“, sagt Johannes Krisch unter Tränen. Und es ist klar, warum Götz diese Einstellung ganz ans Ende der Drehzeit gelegt hat. Dann ist es vorbei. Endgültig. Alle liegen sich in den Armen, viele haben feuchte Augen. Champagner. Ein letztes Mal gibt es Catering. Schnitzel, wie es sich Martin Gschlacht gewünscht hat. Das Team drängt sich im Lkw. Götz sitzt mit Kathi Biro und seinen Schauspielern in der Bauernstube. Draußen ist es dunkel geworden. Dann starten die Autos und Lkws. Zurück nach Wien, das Gepäck wurde schon am Morgen eingeladen. Götz war die ganze Drehzeit über im Waldviertel, war nicht zu Hause. Fünf Wochen lang. Er wird als einziger noch einmal in Plank übernachten. Die Notizen und Aufzeichnungen ordnen, packen und in Ruhe Abschied nehmen. Von Plank, vom Waldviertel, von den Dreharbeiten für Revanche.